Austria / Österreich

Die österreichische Medienlandschaft ist überschaubar und von einer hohen Konzentration geprägt. Dominiert wird sie seit jeher vom öffentlich-rechtlichen Österreichischen Rundfunk (ORF) einerseits und einigen großen privaten Zeitungsverlagen andererseits. Während die Stellung dieser historisch etablierten Medienkonzerne durch ein umfangreiches staatliches Förderprogramm untermauert wird, scheint die Verschiebung vom traditionellen zum digitalen Medienkonsum unumkehrbar. In Anbetracht des wachsenden Anteils von Österreicher*innen, die Nachrichten online beziehen, sowie des sinkenden Vertrauens in öffentliche und private Massenmedien (wie das Reuters Institute for the Study of Journalism in seinem Digital News Report 2022 festgestellt hat), eröffnen unabhängige, digital native” Medien (von Beginn an und primär digital ausgerichtete Onlinemedien) – wenngleich sie in einen schwierigen und wettbewerbsintensiven Markt eindringen – Chancen für mehr journalistische Unabhängigkeit und Medienpluralismus in Österreich.

ALLGEMEINE INFORMATIONEN

Medienorganisationen im Verzeichnis
7
Organisationsformen
  • Gewinnorientiert: 33,3%
  • Gemeinnützig: 16,7%
  • Gemischt: 33,3%
  • Noch nicht gegründet bzw. eingetragen: 16,7%
Geschlecht der Gründenden
  • Männlich: 23,5%
  • Weiblich: 76,5%
Reichweite der Berichterstattung
  • Hyperlokal: 0
  • International: 3
  • Lokal: 0
  • National: 4
  • Regional: 0

Angesichts des von vielen als „Mediensterben“ bezeichneten Phänomens, das durch die Pandemie, wirtschaftliche Instabilität, Desinformation und Krieg ausgelöst wurde, ist eine wachsende Zahl neuer, unabhängiger Nachrichtenmedien entstanden.

Während die klassischen Nachrichtenmedien in den letzten zehn Jahren kontinuierlich Personal abgebaut haben, erleben sogenannte “digital native” (von Beginn an und primär digital ausgerichtete) Medien in ganz Europa einen Aufschwung. Sie füllen Nachrichtenwüsten, sprechen desillusionierte Publikumsgruppen an und sind Pioniere bei der Verbreitung essentieller Informationen.

Ungeachtet der politischen, wirtschaftlichen und sprachlichen Unterschiede, die in den mehr als 40 Ländern, in denen wir diese Studie durchgeführt haben, herrschen, teilen die 540 im Verzeichnis von Project Oasis aufgeführten unabhängigen, “digital native” Medien viele Herausforderungen und Chancen.

Unsere wichtigsten Erkenntnisse:

  • Unabhängige, “digital native” Medien nutzen Social Media, um ein jüngeres Publikum anzusprechen, senden aktuelle News-Updates über Telegram, um Zensur zu umgehen, und bilden Bürgerjournalist*innen aus, um auch unzureichend versorgte Zielgruppen zu erreichen.
  • Über 85% gaben an, dass gesellschaftliche Themen und Menschenrechtsfragen zu den Kernbereichen ihrer Berichterstattung gehören, insbesondere auch Themen im Zusammenhang mit Migration, Geflüchteten, Genderfragen und Feminismus.
  • Mehr als 50% stellen Ressourcen für investigativen Journalismus bereit, und viele bilden Partnerschaften für grenzüberschreitende Berichterstattung.
  • Über 58% der in diesem Bericht vorgestellten Mediengründer*innen sind Frauen. Sie zeichnen sich durch ein hohes Maß an Zusammenarbeit aus, und die meisten von ihnen haben mindestens zwei Mitgründende.
  • Medien, die von Teams gegründet wurden, denen sowohl Männer als auch Frauen angehören, erzielen mit durchschnittlich 509.740 € pro Jahr die höchsten Umsätze.
  • Medien, die in die Geschäftsentwicklung investieren, bauen langfristig stabilere Unternehmen auf. Medienunternehmen, die mindestens eine Person haben die sich um die Umsatzgenerierung kümmert, melden einen sechsfach höheren durchschnittlichen Jahresumsatz,  als denjenigen, die keine Mitarbeitenden in dieser Funktion haben (598.539 € im Vergleich zu 95.629 €).
  • Bei mehr als der Hälfte der Medien aus dieser Studie handelt es sich um gemeinnützige Organisationen, und viele der gewinnorientierten Medien investieren mehr in die journalistische Produktion als in die Erwirtschaftung von Gewinnen.
  • Bei den gemeinnützigen Medien sind Fördermittel, Einzelspenden und Mitgliedschaften – in dieser Reihenfolge – die wichtigsten Einnahmequellen. Bei den gewinnorientierten Unternehmen stellen Werbung, Website-Abonnements und Fördermittel die größten Einnahmequellen dar.
  • Ein breites Spektrum von Einnahmequellen ist wichtig, wobei jedoch zu viele Einkommensquellen nicht mit größerem Erfolg korrelieren. Optimal für Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit scheint die Erschließung von zwei bis sechs Einnahmequellen zu sein.
  • Die Bandbreite der unabhängigen, “digital native” Medien reicht von kleinen, ehrenamtlich geführten Start-ups, die sich für ihre Communities engagieren, bis hin zu höchst profitablen Multiplattform-Unternehmen, die Monat für Monat Millionen von Seitenaufrufen verzeichnen und jährlich mehrere Millionen Euro einnehmen.
  • Zwar sind einige der Medien aus dieser Studie bereits über 20 Jahre alt, jedoch wurde mehr als die Hälfte erst in den letzten zehn Jahren gegründet. Die meisten Medien in diesem Verzeichnis wurden 2016 gegründet.

Die langfristige Tragfähigkeit von unabhängigen, “digital native” Medien ist ein schwieriges Unterfangen, für das es kein einfaches Erfolgsrezept gibt. Allerdings beweisen viele der von uns befragten Medienschaffenden, dass es möglich ist, die notwendige Unterstützung zu finden, um ihren Communities zu dienen.

„Keine Oligarchen, keine Paywall. Nur Ihre Spenden und unsere Arbeit.“ So lautet der Slogan des 2009 gegründeten tschechischen Mediums Deník Referendum. Chefredakteur Jakub Patočka erläuterte uns seinen Ansatz: „Leser*innen, die [im Kommentarbereich] unter unseren Artikeln mitdiskutieren möchten, zahlen eine Gebühr. Dadurch erzielen wir bescheidene Einnahmen und es wird gleichzeitig eine Debatte angeregt.“

Mediengenossenschaften, die sich über die Beiträge ihrer Mitglieder finanzieren, stellen für einige der hier dargestellten Medien  ein attraktives Modell dar. In Großbritannien fungieren die Mitglieder der Genossenschaft The Bristol Cable auch als „demokratische Anteilseigner“, d. h. sie können an den Jahreshauptversammlungen teilnehmen, über redaktionelle Kampagnen abstimmen und bei den Wahlen für den nicht geschäftsführenden Vorstand kandidieren.

Die meisten der von uns erfassten Medien wurden von Journalist*innen ins Leben gerufen, die oftmals nur über begrenzte Ressourcen und unternehmerische Erfahrung verfügen. Dennoch gaben viele an, dass sie trotz dieser (und vieler anderer) Herausforderungen in den nächsten Jahren von Wachstum ausgehen.

Einige werden vor allem Leser*innen, die im Medienbereich tätig sind, bestens bekannt sein. Doch wir sind sicher, dass es unter den vielen inspirierenden Beispielen, die wir in ganz Europa gefunden haben, auch einige Überraschungen geben wird. Gleichwohl erheben wir nicht den Anspruch, dass diese erste Version von Project Oasis alle Medien abdeckt, die in ein solches europäisches Verzeichnis aufgenommen werden sollten.

Viele Ergebnisse dieser Studie decken sich mit unseren früheren Forschungsprojekten. Um den Gesamtkontext zu erweitern und Vergleichsmöglichkeiten aufzuzeigen, gehen wir im folgenden Bericht auf alle wichtigen Erkenntnisse näher ein.

Dieses Forschungsprojekt fußt auf der Methodik, die wir bei SembraMedia entwickelt haben, als wir 2015 begannen, in Lateinamerika, Spanien und den USA nach ähnlichen Medien zu suchen. Seit dem Start von Project Oasis im Jahr 2022 haben insgesamt mehr als 60 Personen an diesem Projekt mitgewirkt, darunter 34 Forschende mit lokaler Expertise, die Interviews in über 30 Sprachen vereinbart, durchgeführt und analysiert haben.

Wir möchten darauf hinweisen, dass dieser Bericht und das Medienverzeichnis keine abschließende, vollständige Liste aller unabhängigen, “digital native” Medien in Europa darstellen. Vielmehr hoffen wir, dass dies lediglich der erste Schritt eines fortlaufenden Forschungsprojekts ist, das wir kontinuierlich weiterentwickeln werden.

Die Innovationskraft, die Entschlossenheit, der Mut und der oft preisgekrönte Journalismus der Medienschaffenden, die sich in ihrem geschäftigen Arbeitsalltag großzügig Zeit für ein Gespräch mit unseren Forschenden nahmen, haben uns beeindruckt.

Wie wir aus früheren Studien gelernt haben, kann die Herausstellung von Medien im Verzeichnis von Project Oasis, ihren Verantwortlichen helfen Wissen auszutauschen, zusammenzuarbeiten und mehr Sichtbarkeit bei und Anerkennung von unterstützenden Organisationen zu erlangen, die sie zur Fortsetzung ihrer Arbeit benötigen und verdienen.

Pressefreiheit

Die Bundesverfassung der Republik Österreich und das Bundesgesetz über die Presse und andere publizistische Medien (Mediengesetz) von 1981 garantieren die Freiheit der Presse und gewährleisten das Recht auf Meinungs- und Pressefreiheit. 2021 wurde auch ein Informationsfreiheitsgesetz entworfen. In der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist Österreich seit vielen Jahren gut platziert. Doch in letzter Zeit haben Einschränkungen des Zugangs zu Informationen, politischer Druck sowie Drohungen gegen Journalist*innen zu einem Rückgang der Medienfreiheit geführt, wie Reporter ohne Grenzen feststellten. Laut der Organisation gibt es „ständig“ Versuche, die Presse zu beeinflussen, was mehrere Skandale über den Kauf vorteilhafter Umfragen und Berichterstattung während des Wahlkampfs 2017 gezeigt haben (insbesondere in Bezug auf den ehemaligen österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz). Insgesamt werden seit Langem die engen Beziehungen zwischen Regierung und Medien, insbesondere wegen Einflussnahme auf den ORF und aufgrund mangelnder Transparenz, kritisiert.

Marktstruktur und Marktbeherrschung 

Der österreichische Medienmarkt wird von einer dualen Struktur geprägt. Während der ORF unbestrittener Marktführer in den Bereichen Fernsehen, Radio und Online-Nachrichten ist, hält die private Kronen Zeitung die stärkste Position im Zeitungsmarkt inne und liegt online an zweiter Stelle (Bericht des Reuters Institute for the Study of Journalism). Die Konzentration von Medieneigentum im privaten Mediensektor ist sowohl vertikal als auch horizontal stark ausgeprägt (Monitoring media pluralism in the digital era, European Centre for Press and Media Freedom).

In allen Bundesländern gehört die Mehrzahl an Regionalzeitungen demselben Verlag, mit Ausnahme von zwei Bundesländern, in denen ausschließlich  die Regionalausgabe der Kronen Zeitung erscheint (Medienlandschaftsanalyse des European Journalism Centre). Mit Blick auf Radio und Fernsehen ist es bisher keinem Privatsender gelungen, die Führungsrolle des ORF entscheidend anzufechten. Zwar gibt es alternative und nicht-kommerzielle Medien – mit traditionellen und digitalen Formaten – doch ihre Reichweite und ihr Einfluss auf die österreichische Öffentlichkeit sind bisher begrenzt (ebd.).

Medienfinanzierung

Die staatliche Finanzierung durch öffentliche Werbung und Presseförderung spielt bei den Einnahmen der Medien eine zentrale Rolle. Sie zielt darauf ab, die Medienvielfalt in Österreich zu sichern. Auch wenn so in erster Linie der ORF finanziert wird, können private Medien staatliche Förderung erhalten. Der im Oktober 2022 vorgelegte Vorschlag zur Reform der Medienfinanzierung (Medienpaket) sieht eine Umstellung von auflagenbezogenen Maßnahmen auf eine Mischung aus quantitativen und qualitativen Kriterien vor. Diese Änderung soll breit geäußerten Bedenken und der Kritik hinsichtlich Aufsicht, Vertriebsmethoden, Transparenz und einem strukturellen Vorteil für Boulevardzeitungen entgegenwirken. Angesichts der anhaltend großen Zeitungsleserschaft in Österreich erzielen die Verlage zudem Einnahmen durch Verkauf, Werbung, kostenpflichtige Paywalls und Abonnements: Mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung kauft täglich gedruckte oder digitale Zeitungen (Bericht des Reuters Institute for the Study of Journalism). 

Das Verzeichnis enthält sieben Profile von unabhängigen Digital-Native-Medien aus Österreich: drei Profile auf der Grundlage von Interviews und vier Profile auf der Basis von Sekundärforschung.

Parallel zur steigenden Internetnutzung in österreichischen Haushalten haben im Jahr 2017 76 % der Österreicher*innen Online-Angebote gegenüber den traditionellen Medien als primäre Nachrichtenquellen bevorzugt (Bericht des Reuters Institute for the Study of Journalism). Zwar haben Fernsehen und Printmedien an Beliebtheit eingebüßt, aber 66 % nutzen immer noch das Fernsehen als wichtigste Informationsquelle, gefolgt von Zeitungen (42 %). Obwohl die Hürden für die Gründung von unabhängigen, digital nativen” Medien im Vergleich zu traditionellen Massenmedien niedriger sind, haben die etablierten öffentlich-rechtlichen und privaten Konzerne (ORF, Kronen Zeitung, Der Standard usw.) ihre Vormachtstellung sowohl offline als auch online behauptet (Medienlandschaftsanalyse, European Journalism Centre) und zählen zu den am häufigsten besuchten Nachrichten-Websites (Bericht des Reuters Institute for the Study of Journalism). Diese herausragende Position auf dem Online-Markt kann zum Teil auf die hohen öffentlichen Investitionen zurückgeführt werden, von denen diese Medienhäuser profitieren.

Vor diesem Hintergrund haben Medienschaffende die mangelnde Berücksichtigung von unabhängigen, „digital nativen” Medien bei der jüngsten Reform der öffentlichen Medienförderung kritisiert. In der Tat legt der neue Gesetzentwurf sehr hohe Förderkriterien fest: Online-Medien, und somit auch „digital native” Medien, müssen mindestens drei Journalist*innen beschäftigen, jährlich mindestens 40 Millionen Zeichen redaktionell publizieren, mindestens die Hälfte des gesamten Online-Medienangebots mit redaktionellen Inhalten bestreiten und mindestens monatlich vollständig aktualisiert werden. Zudem müssen sie mindestens 300.000 unabhängig gemessene Unique User pro Monat nachweisen. Ausschließlich digitale journalistische Audio- und Videoinhalte sind nicht förderfähig. Angesichts dieser relativen Benachteiligung von Online-Medien suchen „digital native” Medien nach alternativen und innovativen Einnahmemodellen, die auf Publikumsunterstützung, Zuschüssen, Beratungsdienstleistungen und Veranstaltungssponsoring beruhen, um mit den digitalen Angeboten der großen Verlage konkurrieren zu können.

Als Antwort auf das wachsende Interesse an digitalen Nachrichten und die Rufe nach mehr journalistischer Unabhängigkeit und Vielfalt weisen unabhängige – sowohl kommerzielle als auch gemeinnützige – digital native” Medieninitiativen möglicherweise den Weg in die Zukunft des österreichischen Journalismus. Ein dabei stärker förderliches und anreizschaffendes Umfeld könnte mehr Medienschaffende und Unternehmer*innen zum Eintritt in den digitalen Nachrichtenmarkt und zur Innovation ermutigen. Mehr Wettbewerbsfairness, eine umfassendere und inklusive Finanzierung, die sich auch auf digital native” Medien, journalistische Podcast- und Videoinhalte erstreckt, könnte somit Hemmnisse, die mit den bisher  großen persönlichen Investitionen und Risiken verbunden sind, verringern.

Stand: Januar 2023