Switzlerand / Die Schweiz

Aufgrund der ausgeprägten kulturellen Vielfalt und des ausgesprochen föderalistischen politischen Systems mit vier Amtssprachen ist die Schweizer Medienlandschaft überschaubar und fragmentiert. Angesichts der finanziellen Schwierigkeiten der Branche, der zunehmenden Konzentration von Medieneigentum und der in den letzten 20 Jahren damit einhergegangenen Abnahme des Medienpluralismus haben neue Medien den traditionellen Anbietern Konkurrenz gemacht und versucht, als unabhängigere und kritischere Kontrollinstanzen hervorzutreten. Während unabhängige, digital native” Medien (von Beginn an und primär digital ausgerichtete Medien) qualitativ hochwertige Inhalte für ein sowohl breites als auch ein Nischenpublikum anbieten und ihr Experimentieren mit innovativen und interaktiven Ansätzen von ihren Zielgruppen unterstützt wird, bleibt ihre finanzielle Tragbarkeit eine Herausforderung.

ALLGEMEINE INFORMATIONEN

Medienorganisationen im Verzeichnis
14
Organisationformen
  • Gewinnorientiert: 61,5%
  • Gemeinnützig: 23,1%
  • Gemischt: 15,4%
  • Noch nicht gegründet bzw. eingetragen: 0,0%
Geschlecht der Gründenden
  • Männlich: 70,5%
  • Weiblich: 29,5%
Reichweite der Berichterstattung
  • Hyperlokal: 0
  • International: 2
  • Lokal: 3
  • National: 7
  • Regional: 2

Angesichts des von vielen als „Mediensterben“ bezeichneten Phänomens, das durch die Pandemie, wirtschaftliche Instabilität, Desinformation und Krieg ausgelöst wurde, ist eine wachsende Zahl neuer, unabhängiger Nachrichtenmedien entstanden.

Während die klassischen Nachrichtenmedien in den letzten zehn Jahren kontinuierlich Personal abgebaut haben, erleben sogenannte “digital native” (von Beginn an und primär digital ausgerichtete) Medien in ganz Europa einen Aufschwung. Sie füllen Nachrichtenwüsten, sprechen desillusionierte Publikumsgruppen an und sind Pioniere bei der Verbreitung essentieller Informationen.

Ungeachtet der politischen, wirtschaftlichen und sprachlichen Unterschiede, die in den mehr als 40 Ländern, in denen wir diese Studie durchgeführt haben, herrschen, teilen die 540 im Verzeichnis von Project Oasis aufgeführten unabhängigen, “digital native” Medien viele Herausforderungen und Chancen.

Unsere wichtigsten Erkenntnisse:

  • Unabhängige, “digital native” Medien nutzen Social Media, um ein jüngeres Publikum anzusprechen, senden aktuelle News-Updates über Telegram, um Zensur zu umgehen, und bilden Bürgerjournalist*innen aus, um auch unzureichend versorgte Zielgruppen zu erreichen.
  • Über 85% gaben an, dass gesellschaftliche Themen und Menschenrechtsfragen zu den Kernbereichen ihrer Berichterstattung gehören, insbesondere auch Themen im Zusammenhang mit Migration, Geflüchteten, Genderfragen und Feminismus.
  • Mehr als 50% stellen Ressourcen für investigativen Journalismus bereit, und viele bilden Partnerschaften für grenzüberschreitende Berichterstattung.
  • Über 58% der in diesem Bericht vorgestellten Mediengründer*innen sind Frauen. Sie zeichnen sich durch ein hohes Maß an Zusammenarbeit aus, und die meisten von ihnen haben mindestens zwei Mitgründende.
  • Medien, die von Teams gegründet wurden, denen sowohl Männer als auch Frauen angehören, erzielen mit durchschnittlich 509.740 € pro Jahr die höchsten Umsätze.
  • Medien, die in die Geschäftsentwicklung investieren, bauen langfristig stabilere Unternehmen auf. Medienunternehmen, die mindestens eine Person haben die sich um die Umsatzgenerierung kümmert, melden einen sechsfach höheren durchschnittlichen Jahresumsatz,  als denjenigen, die keine Mitarbeitenden in dieser Funktion haben (598.539 € im Vergleich zu 95.629 €).
  • Bei mehr als der Hälfte der Medien aus dieser Studie handelt es sich um gemeinnützige Organisationen, und viele der gewinnorientierten Medien investieren mehr in die journalistische Produktion als in die Erwirtschaftung von Gewinnen.
  • Bei den gemeinnützigen Medien sind Fördermittel, Einzelspenden und Mitgliedschaften – in dieser Reihenfolge – die wichtigsten Einnahmequellen. Bei den gewinnorientierten Unternehmen stellen Werbung, Website-Abonnements und Fördermittel die größten Einnahmequellen dar.
  • Ein breites Spektrum von Einnahmequellen ist wichtig, wobei jedoch zu viele Einkommensquellen nicht mit größerem Erfolg korrelieren. Optimal für Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit scheint die Erschließung von zwei bis sechs Einnahmequellen zu sein.
  • Die Bandbreite der unabhängigen, “digital native” Medien reicht von kleinen, ehrenamtlich geführten Start-ups, die sich für ihre Communities engagieren, bis hin zu höchst profitablen Multiplattform-Unternehmen, die Monat für Monat Millionen von Seitenaufrufen verzeichnen und jährlich mehrere Millionen Euro einnehmen.
  • Zwar sind einige der Medien aus dieser Studie bereits über 20 Jahre alt, jedoch wurde mehr als die Hälfte erst in den letzten zehn Jahren gegründet. Die meisten Medien in diesem Verzeichnis wurden 2016 gegründet.

Die langfristige Tragfähigkeit von unabhängigen, “digital native” Medien ist ein schwieriges Unterfangen, für das es kein einfaches Erfolgsrezept gibt. Allerdings beweisen viele der von uns befragten Medienschaffenden, dass es möglich ist, die notwendige Unterstützung zu finden, um ihren Communities zu dienen.

„Keine Oligarchen, keine Paywall. Nur Ihre Spenden und unsere Arbeit.“ So lautet der Slogan des 2009 gegründeten tschechischen Mediums Deník Referendum. Chefredakteur Jakub Patočka erläuterte uns seinen Ansatz: „Leser*innen, die [im Kommentarbereich] unter unseren Artikeln mitdiskutieren möchten, zahlen eine Gebühr. Dadurch erzielen wir bescheidene Einnahmen und es wird gleichzeitig eine Debatte angeregt.“

Mediengenossenschaften, die sich über die Beiträge ihrer Mitglieder finanzieren, stellen für einige der hier dargestellten Medien  ein attraktives Modell dar. In Großbritannien fungieren die Mitglieder der Genossenschaft The Bristol Cable auch als „demokratische Anteilseigner“, d. h. sie können an den Jahreshauptversammlungen teilnehmen, über redaktionelle Kampagnen abstimmen und bei den Wahlen für den nicht geschäftsführenden Vorstand kandidieren.

Die meisten der von uns erfassten Medien wurden von Journalist*innen ins Leben gerufen, die oftmals nur über begrenzte Ressourcen und unternehmerische Erfahrung verfügen. Dennoch gaben viele an, dass sie trotz dieser (und vieler anderer) Herausforderungen in den nächsten Jahren von Wachstum ausgehen.

Einige werden vor allem Leser*innen, die im Medienbereich tätig sind, bestens bekannt sein. Doch wir sind sicher, dass es unter den vielen inspirierenden Beispielen, die wir in ganz Europa gefunden haben, auch einige Überraschungen geben wird. Gleichwohl erheben wir nicht den Anspruch, dass diese erste Version von Project Oasis alle Medien abdeckt, die in ein solches europäisches Verzeichnis aufgenommen werden sollten.

Viele Ergebnisse dieser Studie decken sich mit unseren früheren Forschungsprojekten. Um den Gesamtkontext zu erweitern und Vergleichsmöglichkeiten aufzuzeigen, gehen wir im folgenden Bericht auf alle wichtigen Erkenntnisse näher ein.

Dieses Forschungsprojekt fußt auf der Methodik, die wir bei SembraMedia entwickelt haben, als wir 2015 begannen, in Lateinamerika, Spanien und den USA nach ähnlichen Medien zu suchen. Seit dem Start von Project Oasis im Jahr 2022 haben insgesamt mehr als 60 Personen an diesem Projekt mitgewirkt, darunter 34 Forschende mit lokaler Expertise, die Interviews in über 30 Sprachen vereinbart, durchgeführt und analysiert haben.

Wir möchten darauf hinweisen, dass dieser Bericht und das Medienverzeichnis keine abschließende, vollständige Liste aller unabhängigen, “digital native” Medien in Europa darstellen. Vielmehr hoffen wir, dass dies lediglich der erste Schritt eines fortlaufenden Forschungsprojekts ist, das wir kontinuierlich weiterentwickeln werden.

Die Innovationskraft, die Entschlossenheit, der Mut und der oft preisgekrönte Journalismus der Medienschaffenden, die sich in ihrem geschäftigen Arbeitsalltag großzügig Zeit für ein Gespräch mit unseren Forschenden nahmen, haben uns beeindruckt.

Wie wir aus früheren Studien gelernt haben, kann die Herausstellung von Medien im Verzeichnis von Project Oasis, ihren Verantwortlichen helfen Wissen auszutauschen, zusammenzuarbeiten und mehr Sichtbarkeit bei und Anerkennung von unterstützenden Organisationen zu erlangen, die sie zur Fortsetzung ihrer Arbeit benötigen und verdienen.

Pressefreiheit

Die Pressefreiheit ist in der Schweiz grundsätzlich gut verankert. Allerdings haben in den vergangenen Jahren einige gesetzliche und branchenspezifische Entwicklungen bei Menschenrechtsaktivist*innen und Medienschaffenden Besorgnis ausgelöst. Im Mai 2022 stimmte das Schweizer Parlament für eine Überarbeitung der schweizerischen Zivilprozessordnung, die eine Verschärfung der einstweiligen Maßnahmen vorsieht, welche zur Aussetzung oder Unterbindung unerwünschter Berichterstattung eingesetzt werden können. Bereits im März 2022 hatte sich die UN-Sonderberichterstatterin für Meinungs- und Redefreiheit besorgt über die Auswirkungen des geltenden Bankengesetzes auf journalistische Recherchen geäußert. Laut Artikel 47 dieses Gesetzes droht Journalist*innen und Whistleblower*innen, die Daten von Bankkund*innen preisgeben, eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren, wie es in einer offiziellen Erklärung der UNO heißt. Hinzu kommt, dass die anhaltende Wirtschaftskrise vor allem bei den Printmedien zu Personalabbau, Zusammenlegung von Redaktionen und dem Verkauf von Anteilen an große Medienkonzerne geführt hat, was die Schweizer Medienvielfalt und Unabhängigkeit gefährdet. 

Marktstruktur und Marktbeherrschung

Der überschaubare und heterogene Schweizer Medienmarkt wird einerseits durch die dominierende Rolle der staatlich geförderten, redaktionell unabhängigen schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG SSR und andererseits durch eine Vielzahl an traditionellen und digitalen privaten Mediendiensten geprägt. Vor dem Hintergrund der kulturellen Vielfalt und des föderalistischen Systems richten sich die Schweizer Medien in erster Linie sprachenspezifisch an ein lokales, regionales oder nationales Publikum, können aber auch Zielgruppen im Ausland erreichen. Das öffentliche Medienhaus SRG SSR nimmt dabei eine Sonderstellung ein: Sein mehrsprachiges Fernseh-, Radio- und Online-Angebot ist laut dem Digital News Report 2022 des Reuters Institute for the Study of Journalism weiterhin die wichtigste Nachrichtenquelle und genießt ein besonders großes Vertrauen. Trotz des stark rückläufigen Printmarktes und der weiter zunehmenden Konzentration haben sowohl die führenden etablierten Verlagshäuser als auch neue unabhängige Medienunternehmen die Chancen der Digitalisierung genutzt und Innovationen im Journalismus vorangetrieben.

Medienfinanzierung

Die staatliche Medienförderung ist in der Schweiz seit langer Zeit Gegenstand einer kontroversen Debatte. Die lang bestehende Finanzierung des öffentlichen Medienhauses SRG SSR wurde im März 2018 bekräftigt. Damals lehnte das Schweizer Stimmvolk die Initiative „No Billag“ zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren ab, die 80 % der Einnahmen der Gesellschaft ausmachen. Indirekt kommt diese Förderung  ebenfalls privaten Printmedien zugute, indem sie Zustellungkosten von Zeitungen und Zeitschriften subventioniert. 

Ungeachtet des erheblichen wirtschaftlichen Drucks in der Branche, der sinkenden Werbeeinnahmen, der nachlassenden Abonnementzahlen und des harten Wettbewerbs mit internationalen Plattformen wurde eine Gesetzesvorlage zur Erhöhung der Lizenzgebühren und der staatlichen Beihilfen für private Medienunternehmen in einem Volksentscheid im Februar 2022 abgelehnt. Während die Mehrzahl der Printmedien nach wie vor auf gemischte, Werbungs- und Abonnement-basierte Geschäftsmodelle setzt, experimentieren die unabhängigen, digital nativen” Medien mit „Freemium“-Angeboten und freiwilligen Mitgliedschaften. Durch die vermehrte Wahl von Non-Profit-Modellen, die Erwirtschaftung von Einnahmen durch Publikumsunterstützung und philanthropische Spenden wollen die digital nativen” Medien an Unabhängigkeit gewinnen. Dafür verpflichten sie sich zu einem hohen Maß an finanzieller Transparenz.

Das Verzeichnis enthält 14 Profile von unabhängigen, digital native” Medien aus der Schweiz: sechs Profile auf der Grundlage von Interviews und acht Profile auf der Basis von Sekundärforschung.

Das Internet und die wachsende Bedeutung von Social-Media-Plattformen haben die schweizerische Medienlandschaft nachhaltig verändert. Dem Bericht des Reuters Institute zufolge haben digitale Nachrichtenkanäle die Printmedien und den Rundfunk als Hauptnachrichtenquellen abgelöst. Laut der Medienlandschaftsanalyse des European Journalism Centre sind Entwicklungen hin zu verstärkter Kommerzialisierung, Konzentration und Konvergenz auch bei den Online-Nachrichten zu beobachten, da die großen privaten Verlagshäuser massiv in die digitale Medienbranche investieren. 

Um diesen Trends zu begegnen, sind viele unabhängige, digital native” Medien bestrebt, Nachrichtenlücken zu schließen, einen anspruchsvollen und kritischen Journalismus zu betreiben und eine Kontrollfunktion zu übernehmen. Seit der Jahrtausendwende hat sich somit ein dynamischer Sektor entwickelt, der in den vergangenen zehn Jahren einen erheblichen Aufschwung verzeichnete, wobei zahlreiche – meist deutschsprachige – Initiativen mit etablierten Medienhäusern konkurrieren. 

Da die politische Entscheidungsfindung auf lokaler und regionaler Ebene stattfindet, wo die Medienkonzentration besonders hoch ist, versuchen diverse unabhängige, digital native” Medien wie etwa Bajour, Tsüri und zentralplus, die Bürger*innen mit unabhängigen Nachrichten zu versorgen und Raum für kritische Stimmen und Debatten zu bieten. Weitere Medien (z. B. Das Lamm, FRIDA usw.) haben es sich zum Ziel gemacht, themenspezifische journalistische Inhalte anzubieten, die auf Zielgruppen oder Themen abdecken, die anderweitig unterrepräsentiert sind.

Die unabhängigen, digital native” Medien bauen in der Regel primär auf Internetseiten, welche von mindestens einem Newsletter und einer regen Social-Media-Präsenz ergänzt werden. Die meisten arbeiten mit „Freemium“-Angeboten und unterschiedlichen Formen der Publikumsunterstützung, wie etwa Spenden und frei wählbaren Mitgliedschaftsbeiträgen. Wenngleich wenige Medien auf Werbeeinnahmen setzen, hat sich das Sponsoring von Veranstaltungen für manche Redaktionen als lukrativ erwiesen. Auch wenn einige unabhängige, digital native” Medien in der Schweiz bereits seit geraumer Zeit existieren, innovativ  und wirtschaftliche tragfähig sind, zeigen  das herausragende persönliche Engagement  von Gründer*innen, Journalist*innen und Ehrenamtlichen, kürzliche Schließungen von Medien (z. B. von Higgs im Jahr 2022) und der Ausschluss der Onlinemedien von  staatlicher Förderung, dass die Nachhaltigkeit von Digital-First-Journalismus noch nicht gewährt ist. 

Die Branche der unabhängigen, digital nativen” Medien in der Schweiz – insbesondere im deutschsprachigen Sektor – erweist sich als dynamisch und inspirierend, denn sie ist einerseits Ausdruck des Ehrgeizes der Medienschaffenden, neue Wege im Journalismus zu beschreiten, und andererseits des Publikumswillens in hochwertige Inhalte und innovative Formate zu investieren. Einige digital native” Medien haben dank ihrer Leidenschaft und ihres persönlichen Engagements einen bedeutenden Beitrag zur Medienlandschaft des Landes geleistet, insbesondere im Hinblick auf Lokaljournalismus, unterrepräsentierte Themen und unzureichend versorgte Zielgruppen. Da sich die meisten digital nativen” Medieninitiativen fortlaufend darum bemühen, ihre Einnahmemodelle zu justieren und zu optimieren, könnte es nützlich sein, den gegenseitigen Austausch unter Gleichgesinnten zu fördern, Misserfolge zu besprechen und zu überwinden, bewährte Strategien zu teilen und sich in schwierigen Zeiten zu solidarisieren.

Stand: Januar 2023