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Die Anzahl der unabhängigen, sogenannten “digital native” (von Beginn an und primär digital ausgerichteten) Medien in Deutschland wächst: von investigativen Formaten, zu YouTube-Kanälen für Minderheiten und einer Vielzahl neuer, lokaler Medienangebote. Mit ihrem Angebot für jüngere Zielgruppen oder Nischeninteressen, machen sie den öffentlich-rechtlichen Sendern Konkurrenz. Durch die Internetplattform Steady werden kostenpflichtige Abonnementmodelle beliebter, auch wenn viele Publikationen nach wie vor auf Zuschüsse oder Anschubfinanzierungen angewiesen sind, um ihre Existenz zu sichern.

ALLGEMEINE INFORMATIONEN

Medienorganisationen im Verzeichnis
24
Organisationsformen
  • Gewinnorientiert: 57,1%
  • Gemeinnützig: 23,8%
  • Gemischt: 9,5%
  • Noch nicht gegründet/ eingetragen: 9,5%
Geschlecht der Gründenden
  • Männlich: 75,5%
  • Weiblich: 24,5%
Reichweite
  • Hyperlokal: 0
  • International: 13
  • Lokal: 4
  • National: 7
  • Regional: 0

Angesichts des von vielen als „Mediensterben“ bezeichneten Phänomens, das durch die Pandemie, wirtschaftliche Instabilität, Desinformation und Krieg ausgelöst wurde, ist eine wachsende Zahl neuer, unabhängiger Nachrichtenmedien entstanden.

Während die klassischen Nachrichtenmedien in den letzten zehn Jahren kontinuierlich Personal abgebaut haben, erleben sogenannte “digital native” (von Beginn an und primär digital ausgerichtete) Medien in ganz Europa einen Aufschwung. Sie füllen Nachrichtenwüsten, sprechen desillusionierte Publikumsgruppen an und sind Pioniere bei der Verbreitung essentieller Informationen.

Ungeachtet der politischen, wirtschaftlichen und sprachlichen Unterschiede, die in den mehr als 40 Ländern, in denen wir diese Studie durchgeführt haben, herrschen, teilen die 540 im Verzeichnis von Project Oasis aufgeführten unabhängigen, “digital native” Medien viele Herausforderungen und Chancen.

Unsere wichtigsten Erkenntnisse:

  • Unabhängige, “digital native” Medien nutzen Social Media, um ein jüngeres Publikum anzusprechen, senden aktuelle News-Updates über Telegram, um Zensur zu umgehen, und bilden Bürgerjournalist*innen aus, um auch unzureichend versorgte Zielgruppen zu erreichen.
  • Über 85% gaben an, dass gesellschaftliche Themen und Menschenrechtsfragen zu den Kernbereichen ihrer Berichterstattung gehören, insbesondere auch Themen im Zusammenhang mit Migration, Geflüchteten, Genderfragen und Feminismus.
  • Mehr als 50% stellen Ressourcen für investigativen Journalismus bereit, und viele bilden Partnerschaften für grenzüberschreitende Berichterstattung.
  • Über 58% der in diesem Bericht vorgestellten Mediengründer*innen sind Frauen. Sie zeichnen sich durch ein hohes Maß an Zusammenarbeit aus, und die meisten von ihnen haben mindestens zwei Mitgründende.
  • Medien, die von Teams gegründet wurden, denen sowohl Männer als auch Frauen angehören, erzielen mit durchschnittlich 509.740 € pro Jahr die höchsten Umsätze.
  • Medien, die in die Geschäftsentwicklung investieren, bauen langfristig stabilere Unternehmen auf. Medienunternehmen, die mindestens eine Person haben die sich um die Umsatzgenerierung kümmert, melden einen sechsfach höheren durchschnittlichen Jahresumsatz,  als denjenigen, die keine Mitarbeitenden in dieser Funktion haben (598.539 € im Vergleich zu 95.629 €).
  • Bei mehr als der Hälfte der Medien aus dieser Studie handelt es sich um gemeinnützige Organisationen, und viele der gewinnorientierten Medien investieren mehr in die journalistische Produktion als in die Erwirtschaftung von Gewinnen.
  • Bei den gemeinnützigen Medien sind Fördermittel, Einzelspenden und Mitgliedschaften – in dieser Reihenfolge – die wichtigsten Einnahmequellen. Bei den gewinnorientierten Unternehmen stellen Werbung, Website-Abonnements und Fördermittel die größten Einnahmequellen dar.
  • Ein breites Spektrum von Einnahmequellen ist wichtig, wobei jedoch zu viele Einkommensquellen nicht mit größerem Erfolg korrelieren. Optimal für Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit scheint die Erschließung von zwei bis sechs Einnahmequellen zu sein.
  • Die Bandbreite der unabhängigen, “digital native” Medien reicht von kleinen, ehrenamtlich geführten Start-ups, die sich für ihre Communities engagieren, bis hin zu höchst profitablen Multiplattform-Unternehmen, die Monat für Monat Millionen von Seitenaufrufen verzeichnen und jährlich mehrere Millionen Euro einnehmen.
  • Zwar sind einige der Medien aus dieser Studie bereits über 20 Jahre alt, jedoch wurde mehr als die Hälfte erst in den letzten zehn Jahren gegründet. Die meisten Medien in diesem Verzeichnis wurden 2016 gegründet.

Die langfristige Tragfähigkeit von unabhängigen, “digital native” Medien ist ein schwieriges Unterfangen, für das es kein einfaches Erfolgsrezept gibt. Allerdings beweisen viele der von uns befragten Medienschaffenden, dass es möglich ist, die notwendige Unterstützung zu finden, um ihren Communities zu dienen.

„Keine Oligarchen, keine Paywall. Nur Ihre Spenden und unsere Arbeit.“ So lautet der Slogan des 2009 gegründeten tschechischen Mediums Deník Referendum. Chefredakteur Jakub Patočka erläuterte uns seinen Ansatz: „Leser*innen, die [im Kommentarbereich] unter unseren Artikeln mitdiskutieren möchten, zahlen eine Gebühr. Dadurch erzielen wir bescheidene Einnahmen und es wird gleichzeitig eine Debatte angeregt.“

Mediengenossenschaften, die sich über die Beiträge ihrer Mitglieder finanzieren, stellen für einige der hier dargestellten Medien  ein attraktives Modell dar. In Großbritannien fungieren die Mitglieder der Genossenschaft The Bristol Cable auch als „demokratische Anteilseigner“, d. h. sie können an den Jahreshauptversammlungen teilnehmen, über redaktionelle Kampagnen abstimmen und bei den Wahlen für den nicht geschäftsführenden Vorstand kandidieren.

Die meisten der von uns erfassten Medien wurden von Journalist*innen ins Leben gerufen, die oftmals nur über begrenzte Ressourcen und unternehmerische Erfahrung verfügen. Dennoch gaben viele an, dass sie trotz dieser (und vieler anderer) Herausforderungen in den nächsten Jahren von Wachstum ausgehen.

Einige werden vor allem Leser*innen, die im Medienbereich tätig sind, bestens bekannt sein. Doch wir sind sicher, dass es unter den vielen inspirierenden Beispielen, die wir in ganz Europa gefunden haben, auch einige Überraschungen geben wird. Gleichwohl erheben wir nicht den Anspruch, dass diese erste Version von Project Oasis alle Medien abdeckt, die in ein solches europäisches Verzeichnis aufgenommen werden sollten.

Viele Ergebnisse dieser Studie decken sich mit unseren früheren Forschungsprojekten. Um den Gesamtkontext zu erweitern und Vergleichsmöglichkeiten aufzuzeigen, gehen wir im folgenden Bericht auf alle wichtigen Erkenntnisse näher ein.

Dieses Forschungsprojekt fußt auf der Methodik, die wir bei SembraMedia entwickelt haben, als wir 2015 begannen, in Lateinamerika, Spanien und den USA nach ähnlichen Medien zu suchen. Seit dem Start von Project Oasis im Jahr 2022 haben insgesamt mehr als 60 Personen an diesem Projekt mitgewirkt, darunter 34 Forschende mit lokaler Expertise, die Interviews in über 30 Sprachen vereinbart, durchgeführt und analysiert haben.

Wir möchten darauf hinweisen, dass dieser Bericht und das Medienverzeichnis keine abschließende, vollständige Liste aller unabhängigen, “digital native” Medien in Europa darstellen. Vielmehr hoffen wir, dass dies lediglich der erste Schritt eines fortlaufenden Forschungsprojekts ist, das wir kontinuierlich weiterentwickeln werden.

Die Innovationskraft, die Entschlossenheit, der Mut und der oft preisgekrönte Journalismus der Medienschaffenden, die sich in ihrem geschäftigen Arbeitsalltag großzügig Zeit für ein Gespräch mit unseren Forschenden nahmen, haben uns beeindruckt.

Wie wir aus früheren Studien gelernt haben, kann die Herausstellung von Medien im Verzeichnis von Project Oasis, ihren Verantwortlichen helfen Wissen auszutauschen, zusammenzuarbeiten und mehr Sichtbarkeit bei und Anerkennung von unterstützenden Organisationen zu erlangen, die sie zur Fortsetzung ihrer Arbeit benötigen und verdienen.

Pressefreiheit 

Laut Reporter ohne Grenzen (RSF) wurden in Deutschland im Jahr 2021 mehr als 80 Angriffe auf Journalist*innen verzeichnet, über 65% davon bei Demonstrationen gegen COVID-19-Maßnahmen. Wie die Organisation feststellt, war auch die Polizei aktiv an der Gewalt beteiligt und wurde beschuldigt, Journalist*innen, die von Demonstranten angegriffen wurden, nicht geschützt zu haben. 

Darüber hinaus werden zunehmend SLAPPs („Strategic Lawsuits against Public Participation“ – zu Deutsch: „Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“) als rechtliches Mittel zur Einschränkung der Pressefreiheit eingesetzt. Das Adelshaus Hohenzollern gilt hier als prominentester Akteur, der zahlreiche Klagen gegen Journalist*innen und Medien eingereicht hat. 

Auf eine Klage der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) aus dem Jahr 2017 hin bestätigte das Bundesverfassungsgericht 2022, dass sich Journalist*innen nicht strafbar machen, wenn sie von Whistleblower*innen zur Verfügung gestellte Daten verwenden. Dieses Recht war zuvor aktiv durch den 2015 eingeführten Datenhehlerei-Paragrafen 202d des Strafgesetzbuches bedroht. Im digitalen Bereich, wird das neue Cybersicherheitsgesetz von 2021 und der Einsatz der Spionagesoftware Pegasus durch die Regierung als erhebliche Bedrohungen für die Pressefreiheit hervorgehoben.

Marktstruktur und Marktbeherrschung

Der 2022 Jahresbericht von RSF beklagt einen besorgniserregenden Rückgang der Vielfalt in der deutschen Medienlandschaft (insbesondere bei den Tageszeitungen), betont jedoch auch die nach wie vor starke Stellung der öffentlich finanzierten Medien auf Bundes- und Landesebene. Nach einem Bericht der deutschen Medienanstalten aus dem Jahr 2021 erreichen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten über alle Kanäle hinweg fast 30 % des Publikums. Bei Hörfunk und Fernsehen sind es sogar über 50%. Wirtschaftlicher Druck führt insbesondere im Printbereich zu einer weiteren Konsolidierung. Laut Euromedia Ownership Monitor entfielen beispielsweise im Jahr 2021 über 50 % der Gesamtauflage auf die zehn größten Zeitungsgruppen. Bertelsmann, Burda, ARD, United Internet und Axel Springer halten zusammen einen Marktanteil von 40,5 %, so der Bericht. Wie sehr diese Konsolidierung die Pressefreiheit bedroht, wird zum Beispiel mit Blick auf Verleger Dirk Ippen deutlich, der versuchte die Veröffentlichung von Recherchen über Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen Julian Reichelt, den damaligen Chefredakteur der Tageszeitung Bild, zu unterbinden.

Medienfinanzierung

Die dominierenden öffentlich-rechtlichen Medien werden durch monatliche Rundfunkgebühren in Höhe von über 8 Mrd. Euro finanziert. Darüber hinaus wurden von der Staatsministerin für Kultur und Medien 2,3 Mio. Euro für Projekte zur strukturellen Stärkung des Journalismus bereitgestellt. Ein weiteres Konjunkturpaket sowie ein Rechtsrahmen für den gemeinnützigen Journalismus wurden im Koalitionsvertrag der Bundesregierung in Aussicht gestellt. Das letzte Konjunkturpaket scheiterte im Jahr 2020, nach einer Klage des unabhängigen Digitalmagazins Krautreporter, welches die Wettbewerbsverzerrung durch den Ausschluss reiner digitaler Angebote bemängelte. In der Privatwirtschaft befanden sich bislang viele Medienkonzerne wie z. B. Bertelsmann und Springer größtenteils im Besitz einzelner Familien, wenngleich die Finanzierung durch ausländische Investierende zugenommen hat. Die amerikanische Investmentgesellschaft KKR erwarb beispielsweise 35,6 % der Aktien von Axel Springer und wurde damit zum größten Anteilseigner der Verlagsgruppe. Wie aus dem Digital News Report 2022 des Reuters Institute for the Study of Journalism hervorgeht, ist die Bereitschaft von Privatpersonen, für Online-Inhalte zu bezahlen, auf 14% gestiegen, wodurch eine weitere Diversifizierung der Medienfinanzierung möglich erscheint.

Das Verzeichnis enthält 24 Profile von unabhängigen, “digital native” Medien aus Deutschland: elf Profile auf der Grundlage von Interviews und 13 Profile basierend auf Sekundärforschung. 

Insgesamt nimmt der Konsum von Online-Nachrichten in Deutschland zu und hat sogar das Fernsehen als Primärmedium überholt, so der Bericht des Reuters Institute. Digitale Versionen bestehender Print- und Rundfunkmedien stellen jedoch weiterhin die Mehrheit (72%) der 25 meist genutzten, digitalen Nachrichtenkanäle dar. Trotzdem ist bundesweit eine große Vielfalt und ein starkes Wachstum unabhängiger, “digital native” Medienangebote festzustellen.

Besonders bemerkenswert ist der Wachstum lokaler, unabhängiger, digitaler Initiativen wie beispielsweise Karla in Konstanz, VierNull inDüsseldorf oder RUMS in Münster. Diese oft gemeinschaftlich finanzierten Lokalmedien sind vergleichsweise neu und testen derzeit unterschiedliche Geschäftsmodelle. Auch öffentliche Finanzierung und Start-up Förderungen wie zum Beispiel durch das Journalismus Lab der Landesanstalt für Medien NRW oder das Media Lab Bayern könnten einen Weg zur Rentabilität weisen. Diese Strukturen haben zum Teil auch die ersten Schritte von digitalen Medien von und für Migrant*innen finanziell mit-unterstützt, wie beispielsweise. Nalan Sipar, Karakaya Talks oder das Onlinemagazin RosaMag. „Während der Corona-Krise gab es Themen, die nur die deutsch-türkische Community betrafen. Öffentlich-rechtliche Sender haben sich damit überhaupt nicht beschäftigt“, erklärt Nalan Sipar, Gründerin von Nalan Sipar Media. Darüber hinaus existieren zahlreiche Plattformen wie beispielsweise Medieninsider, Social Media Watchblog, Unbias the News oder Netzpolitik, die den Blick auf die Medienbranche selbst richten. 

Die meistgenutzten Plattformen sind weiterhin Websites, Newsletter oder soziale Netzwerke, wobei einige Angebote, wie das Magazin die Groschenphilosophin, auch mit Telegram-Kanälen experimentieren. Fester etablierte, erfolgreiche Medien wie detektor.fm und Correctiv nehmen in diesem Bereich eine Vorreiterrolle ein und erkunden neue Verbreitungskanäle – vom YouTube-Podcasting, und dem Aufbau eines Netzwerks von Lokaljournalist*innen, bis zur Informationsbeschaffung per Crowdsourcing oder dem Einstieg in Printprodukte wir Graphic Novels oder Zeitschriften. 

Die meisten teilnehmenden Medien gaben als eine ihrer Haupteinnahmequellen Abonnementmodelle an, wobei das Gesamtvolumen nach wie vor gering ist und viele nicht in der Lage sind, ihre Gründer*innen und zum Teil sogar Mitarbeitende vollständig zu bezahlen. Das Aufkommen der Plattform Steady, die Abonnementmodelle für unabhängige Medien ermöglicht, hat diese Entwicklung maßgeblich vorangetrieben. Generell bietet die Plattform eine einzigartige Möglichkeit zur Monetarisierung von Inhalten und zum Aufbau einer engagierten Community. 

Alternativen Einnahmequellen sind außerdem oftmals Werbung, Fördermittel oder die Produktion von Inhalten für Medien und Nicht-Medien-Organisationen sowie neuerdings auch die Durchführung von Präsenzveranstaltungen, Stadtführungen, Workshops oder Schulungen. 

Da sich viele unabhängige, “digital native” Medien noch im Aufbau befinden, müssen langfristige, nachhaltige Geschäftsmodelle jenseits von Startkapital, Anschubfinanzierung und Investitionen durch Gründer*innen noch gefunden und bestätigt werden. Dazu meint Christian Bollert, Mitgründer von detektor.fm: „Wir haben von Anfang an ein sehr breit angelegtes Geschäftsmodell aufgestellt. Wenn wir uns ausschließlich über Werbung finanzieren würden, hätten wir während der COVID-Krise oder infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine mit Sicherheit Mitarbeitende entlassen müssen.“

Die deutsche Landschaft der unabhängigen, “digital native” Medien ist vielfältig und bietet Raum für bisher unterrepräsentierte Themen und Gruppen. Da das Ökosystem allerdings auch noch recht jung ist, fällt es vielen dieser Medien schwer, nachhaltige Geschäftsmodelle zu etablieren, mit denen sie ihren Geschäftsbetrieb langfristig und vollständig finanzieren können. Da es jedoch auch schon einige etablierte Beispiele gibt, ist zu hoffen, dass der Sektor weiter wachsen kann – insbesondere dann, wenn Abonnementmodelle beliebt bleiben und entscheidende staatliche Finanzierungs- und Rechtsrahmen geschaffen werden.
Stand: Januar 2023