Liechtenstein / Liechtenstein

Im Fürstentum Liechtenstein, einer konstitutionellen Erbmonarchie mit knapp 40.000 Einwohner*innen, gibt es nur zwei Tageszeitungen, einen Radiosender und eine Fernsehanstalt. Zudem gibt es keine unabhängigen sogenannten “digital native” (von Beginn an und primär digital ausgerichteten) Medien, wobei deutschsprachige Bürger*innen Zugriff auf diverse Medien aus Deutschland, Österreich und der Schweiz haben.

ALLGEMEINE INFORMATIONEN

Angesichts des von vielen als „Mediensterben“ bezeichneten Phänomens, das durch die Pandemie, wirtschaftliche Instabilität, Desinformation und Krieg ausgelöst wurde, ist eine wachsende Zahl neuer, unabhängiger Nachrichtenmedien entstanden.

Während die klassischen Nachrichtenmedien in den letzten zehn Jahren kontinuierlich Personal abgebaut haben, erleben sogenannte “digital native” (von Beginn an und primär digital ausgerichtete) Medien in ganz Europa einen Aufschwung. Sie füllen Nachrichtenwüsten, sprechen desillusionierte Publikumsgruppen an und sind Pioniere bei der Verbreitung essentieller Informationen.

Ungeachtet der politischen, wirtschaftlichen und sprachlichen Unterschiede, die in den mehr als 40 Ländern, in denen wir diese Studie durchgeführt haben, herrschen, teilen die 540 im Verzeichnis von Project Oasis aufgeführten unabhängigen, “digital native” Medien viele Herausforderungen und Chancen.

Unsere wichtigsten Erkenntnisse:

  • Unabhängige, “digital native” Medien nutzen Social Media, um ein jüngeres Publikum anzusprechen, senden aktuelle News-Updates über Telegram, um Zensur zu umgehen, und bilden Bürgerjournalist*innen aus, um auch unzureichend versorgte Zielgruppen zu erreichen.
  • Über 85% gaben an, dass gesellschaftliche Themen und Menschenrechtsfragen zu den Kernbereichen ihrer Berichterstattung gehören, insbesondere auch Themen im Zusammenhang mit Migration, Geflüchteten, Genderfragen und Feminismus.
  • Mehr als 50% stellen Ressourcen für investigativen Journalismus bereit, und viele bilden Partnerschaften für grenzüberschreitende Berichterstattung.
  • Über 58% der in diesem Bericht vorgestellten Mediengründer*innen sind Frauen. Sie zeichnen sich durch ein hohes Maß an Zusammenarbeit aus, und die meisten von ihnen haben mindestens zwei Mitgründende.
  • Medien, die von Teams gegründet wurden, denen sowohl Männer als auch Frauen angehören, erzielen mit durchschnittlich 509.740 € pro Jahr die höchsten Umsätze.
  • Medien, die in die Geschäftsentwicklung investieren, bauen langfristig stabilere Unternehmen auf. Medienunternehmen, die mindestens eine Person haben die sich um die Umsatzgenerierung kümmert, melden einen sechsfach höheren durchschnittlichen Jahresumsatz,  als denjenigen, die keine Mitarbeitenden in dieser Funktion haben (598.539 € im Vergleich zu 95.629 €).
  • Bei mehr als der Hälfte der Medien aus dieser Studie handelt es sich um gemeinnützige Organisationen, und viele der gewinnorientierten Medien investieren mehr in die journalistische Produktion als in die Erwirtschaftung von Gewinnen.
  • Bei den gemeinnützigen Medien sind Fördermittel, Einzelspenden und Mitgliedschaften – in dieser Reihenfolge – die wichtigsten Einnahmequellen. Bei den gewinnorientierten Unternehmen stellen Werbung, Website-Abonnements und Fördermittel die größten Einnahmequellen dar.
  • Ein breites Spektrum von Einnahmequellen ist wichtig, wobei jedoch zu viele Einkommensquellen nicht mit größerem Erfolg korrelieren. Optimal für Nachhaltigkeit und Unabhängigkeit scheint die Erschließung von zwei bis sechs Einnahmequellen zu sein.
  • Die Bandbreite der unabhängigen, “digital native” Medien reicht von kleinen, ehrenamtlich geführten Start-ups, die sich für ihre Communities engagieren, bis hin zu höchst profitablen Multiplattform-Unternehmen, die Monat für Monat Millionen von Seitenaufrufen verzeichnen und jährlich mehrere Millionen Euro einnehmen.
  • Zwar sind einige der Medien aus dieser Studie bereits über 20 Jahre alt, jedoch wurde mehr als die Hälfte erst in den letzten zehn Jahren gegründet. Die meisten Medien in diesem Verzeichnis wurden 2016 gegründet.

Die langfristige Tragfähigkeit von unabhängigen, “digital native” Medien ist ein schwieriges Unterfangen, für das es kein einfaches Erfolgsrezept gibt. Allerdings beweisen viele der von uns befragten Medienschaffenden, dass es möglich ist, die notwendige Unterstützung zu finden, um ihren Communities zu dienen.

„Keine Oligarchen, keine Paywall. Nur Ihre Spenden und unsere Arbeit.“ So lautet der Slogan des 2009 gegründeten tschechischen Mediums Deník Referendum. Chefredakteur Jakub Patočka erläuterte uns seinen Ansatz: „Leser*innen, die [im Kommentarbereich] unter unseren Artikeln mitdiskutieren möchten, zahlen eine Gebühr. Dadurch erzielen wir bescheidene Einnahmen und es wird gleichzeitig eine Debatte angeregt.“

Mediengenossenschaften, die sich über die Beiträge ihrer Mitglieder finanzieren, stellen für einige der hier dargestellten Medien  ein attraktives Modell dar. In Großbritannien fungieren die Mitglieder der Genossenschaft The Bristol Cable auch als „demokratische Anteilseigner“, d. h. sie können an den Jahreshauptversammlungen teilnehmen, über redaktionelle Kampagnen abstimmen und bei den Wahlen für den nicht geschäftsführenden Vorstand kandidieren.

Die meisten der von uns erfassten Medien wurden von Journalist*innen ins Leben gerufen, die oftmals nur über begrenzte Ressourcen und unternehmerische Erfahrung verfügen. Dennoch gaben viele an, dass sie trotz dieser (und vieler anderer) Herausforderungen in den nächsten Jahren von Wachstum ausgehen.

Einige werden vor allem Leser*innen, die im Medienbereich tätig sind, bestens bekannt sein. Doch wir sind sicher, dass es unter den vielen inspirierenden Beispielen, die wir in ganz Europa gefunden haben, auch einige Überraschungen geben wird. Gleichwohl erheben wir nicht den Anspruch, dass diese erste Version von Project Oasis alle Medien abdeckt, die in ein solches europäisches Verzeichnis aufgenommen werden sollten.

Viele Ergebnisse dieser Studie decken sich mit unseren früheren Forschungsprojekten. Um den Gesamtkontext zu erweitern und Vergleichsmöglichkeiten aufzuzeigen, gehen wir im folgenden Bericht auf alle wichtigen Erkenntnisse näher ein.

Dieses Forschungsprojekt fußt auf der Methodik, die wir bei SembraMedia entwickelt haben, als wir 2015 begannen, in Lateinamerika, Spanien und den USA nach ähnlichen Medien zu suchen. Seit dem Start von Project Oasis im Jahr 2022 haben insgesamt mehr als 60 Personen an diesem Projekt mitgewirkt, darunter 34 Forschende mit lokaler Expertise, die Interviews in über 30 Sprachen vereinbart, durchgeführt und analysiert haben.

Wir möchten darauf hinweisen, dass dieser Bericht und das Medienverzeichnis keine abschließende, vollständige Liste aller unabhängigen, “digital native” Medien in Europa darstellen. Vielmehr hoffen wir, dass dies lediglich der erste Schritt eines fortlaufenden Forschungsprojekts ist, das wir kontinuierlich weiterentwickeln werden.

Die Innovationskraft, die Entschlossenheit, der Mut und der oft preisgekrönte Journalismus der Medienschaffenden, die sich in ihrem geschäftigen Arbeitsalltag großzügig Zeit für ein Gespräch mit unseren Forschenden nahmen, haben uns beeindruckt.

Wie wir aus früheren Studien gelernt haben, kann die Herausstellung von Medien im Verzeichnis von Project Oasis, ihren Verantwortlichen helfen Wissen auszutauschen, zusammenzuarbeiten und mehr Sichtbarkeit bei und Anerkennung von unterstützenden Organisationen zu erlangen, die sie zur Fortsetzung ihrer Arbeit benötigen und verdienen.

Pressefreiheit

Trotz der sehr begrenzten Medienvielfalt belegt Liechtenstein in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen (RSF) einen vergleichsweise hohen Platz. Dies könnte auf den problemlosen Zugang zu anderen deutschsprachigen Medien der Region zurückzuführen sein. Laut RSF wurden Journalist*innen insbesondere im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen COVID-19-Beschränkungen verbal angegriffen. Darüber hinaus versuchte im Jahr 2021 Aurelia Frick, eine politische Schlüsselfigur, rechtliche Schritte gegen die Tageszeitung Liechtensteiner Vaterland, die der Partei Vaterländische Union (VU) gehört, einzuleiten, um die Berichterstattung über ein laufendes Gerichtsverfahren gegen sie zu unterbinden. Die sozial-ökologisch orientierte Oppositionspartei Freie Liste (FL) griff zudem 2021 „zum ersten Mal Journalist*innen an, nachdem beide Tageszeitungen die Ergebnisse einer Untersuchung über die Partei veröffentlicht hatten“, fügte RSF hinzu.

Marktstruktur und Marktbeherrschung

Der einzige Radiosender, Radio L, ist ein öffentlich-rechtlicher Sender des Liechtensteinischen Rundfunks (LRF), der nach Angaben des State Media Monitor rund 30.000 Hörende erreicht. Weiter heißt es, der unabhängige LRF werde von einem heterogenen, turnusmäßig wechselnden Verwaltungsrat geleitet und von der Regierung beaufsichtigt. Die beiden Tageszeitungen Liechtensteiner Vaterland und Liechtensteiner Volksblatt sind jeweils Eigentum der beiden großen Regierungsparteien Vaterländische Union (VU) und Fortschrittliche Bürgerpartei (FBP).

Trotz dieser Konzentration und der Nähe zur Partei- und Regierungsfinanzierung wird die Qualität der Berichterstattung in einer kürzlich durchgeführten Umfrage von bis zu 70 % der Befragten als sehr hoch bzw. hoch eingestuft. Laut derselben Umfrage ist der einzige Fernsehsender des Landes (1FLTV), der einem österreichischen Unternehmen gehört, weniger beliebt und wird in Bezug auf seine Qualität kritisiert. Im Jahr 2018 forderte die Oppositionspartei Freie Liste (FL) ein Referendum, um zu ermitteln, „wie die Medien- und Meinungsvielfalt sowie die Unabhängigkeit, Neutralität, Objektivität und Qualität der Medienunternehmen verbessert werden könnten“.

Medienfinanzierung

Beide nationalen Tageszeitungen sind Eigentum politischer Parteien, werden vom Staat subventioniert und verwenden für ihre digitalen Inhalte Paywalls. Kürzlicher Personalabbau beim Liechtensteiner Vaterland und die Reduktion der Printausgaben des Liechtensteiner Volksblatt sind jedoch Zeichen ihres finanziellen Drucks. Die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt LRF finanziert sich gemäß State Media Monitor über rund 2,6 Mio. CHF staatliche Mitteln sowie 725.000 CHF Werbeeinnahmen und Quellen.

Der Staat unterstützt zudem die beiden nationalen Tageszeitungen, 2017 mit rund 1,7 Mio. CHF der insgesamt 1,8 Mio. CHF verfügbarer zusätzlicher Mittel. Der einzige Fernsehsender 1FLTV hingegen erhielt deutlich weniger Subventionen. Nach Angaben des State Media Monitor wurde 2015 ein Vorschlag zur Einführung einer Rundfunkgebühr verworfen und stattdessen die Finanzierung über den Landesbeitrag beibehalten. 

Möglichkeiten der privaten Finanzierung sind ebenfalls begrenzt. RSF betont als Grund hierfür den kleinen Werbemarkt in Liechtenstein. Marius Dragomir, Gründer des Media and Journalism Research Center (MJRC) erwähnt darüber hinaus das hohe Einkommensniveau und den ebenso hohen Lebensstandard, sowie die starke persönliche Verbindung innerhalb der kleinen Bevölkerung..

Trotz der Internetnutzung von 100 % und des hohen Einkommensniveaus, konnten wir in Liechtenstein keine unabhängigen, “digital native” Medien identifizieren. 

In einer Umfrage des Liechtenstein Instituts wurde festgestellt, dass mindestens 41 % der Bevölkerung eine zusätzliche öffentliche Förderung von Online-Medien begrüßen. Verglichen mit den relativ hohen Abonnementzahlen der Printausgaben der Tageszeitungen (44 % für das Liechtensteiner Vaterland und 26 % für das Liechtensteiner Volksblatt), liegen deren Online-Abonnements laut der Studie allerdings bei lediglich 11 % bzw. 5 %. Marius Dragomir verwies auch auf das Bestehen der Website Liechtenstein.li als Quelle für lokale Informationen. Diese ist allerdings nicht als unabhängige Nachrichtenquelle zu betrachten, sondern wird von staatlichen Stellen unterhalten und von einem lokalen Marketingunternehmen mit Schwerpunkt Tourismus betrieben.

Stand: Januar 2023